Mein Weg mit der Musik
Es gibt sie auch in der Volksmusik, jene stillen Schaffer, die Grosses leisten und doch nur selten im Rampenlicht stehen. Ernst Kälin zählt zu diesen.
Am 20. Dezember 1938 wurde er in eine musikalische Familie hineingeboren.
Sein Vater war ein begnadeter Schwyzerörgeler, der eine Bruder war Militärtrompeter und spielte sehr gut Klarinette (in der Harmoniemusik Pfäffikon-Freienbach). Sein zweiter Bruder zupfte den Kontrabass. Die Familie lebte in Wollerau, und hier verbrachte Ernst Kälin seine ganze Kindheit. Im Alter von 10 Jahren durfte er mit Akkordeon-Unterricht beginnen, und zwar bei keinem geringeren als Martin Beeler, der in Einsiedeln wohnte und in Wollerau Akkordeon unterrichtete.
Später wurde Sepp Gmür Ernst Kälins Lehrer: «Er hat mich gelehrt, auch mit dem Daumen der rechten Hand Akkordeon zu spielen», erzählt Ernst.
Der Multi-Instrumentalist
Die Musik zum Beruf zu machen war schon früh Ernst Kälins Traum. Auf Anraten des Vaters absolvierte er jedoch zuerst eine Berufslehre zum Typograph (4 Jahre), einer Tätigkeit, die er bis zu seinem 30. Lebensjahr in Vollzeit ausübte.
Daneben investierte er nach wie vor viel Zeit und Energie in die Musik. Zugleich trat er mit verschiedenen Formationen auf und bildete sich musikalisch weiter.
Er studierte 1961 an der Musikakademie Zürich Blasmusikdirigent bei Heinrich Menet und 1962 machte er die Ausbildung zum Akkordeonlehrer beim Schweizer
Akkordeon-Lehrerverband (SALV). Sein letzter Musiklehrer und Freund war Gérard
Fahr, der verschiedene Instrumente spielt und Lehrer am Konservatorium Zürich war.
Um als Blasmusikdirigent tätig sein zu können, musste Ernst Kälin ein Blasmusikinstrument spielen. Er liebte die Zugposaune und nahm dann Unterricht bei H. Hassler an der Musikakademie in Zürich. In der Harmoniemusik Wollerau
war er mehrere Jahre Aktiv-Mitglied. Auch wurde er vier Mal ins Militärspiel als „Zuzug“ engagiert.
Im Verlauf der Jahre kamen dann weitere Instrumente dazu, nämlich Klarinette, Saxofon, Keyboard, Klavier (für die Harmonielehre) und Schwyzerörgeli. Sein Hauptinstrument jedoch blieb stets das Akkordeon, er übt heute noch jeden Tag und tritt hie und da an privaten Anlässen auf.
Schon als Jugendlicher trat Ernst Kälin mit der Kapelle Bachmann-Späni und einheimischen Bläsern auf oder begleitete Jodlerinnen mit dem Akkordeon. Nach der Sekundarschule kamen dann sehr viele Auftritte im Duo (Akkordeon mit Schlagzeug und Gesang), Unterhaltungsmusik mit 4 bis 6 Mann oder Ländlerformationen mit Bruno Syfrig, Klavier und Bass (Röbi Pfister).
Bis heute komponierte er ca. 70 Nummern für Akkordeon, Klavier, Klarinette, Saxofon, Alphorn, Gesang und Schwyzerörgeli. Anfängerstücke für Akkordeon, Klarinette, sowie anspruchsvolle Nummern für Akkordeon, Klarinette, Klavier, Schwyzerörgeli und Alphorn.
Goldene Jahre als Berufsmusiker
Unter dem Namen Duo «The Marabus» tourten Ernst Kälin und seine Frau Heidi von 1969 bis 1978 quer durch die Schweiz.
Einige Stationen waren z.B. Sierre VS, Leukerbad, Basel, Hergiswil, Zürich, Samedan, Pontresina, Celerina und Meyrin (GE), sowie 1977 in Hong Kong, Japan und den Philippinen.
Prägende Engagements in Ernst Kälins Karriere waren in Grindelwald, wo «The Marabus» von 1973 bis 1978 in der «Challi-Bar» vom Hotel Kreuz+Post, jeweils für die ganze Winter-Saison (Weihnachten bis Ostern) engagiert wurden.
Über diese Zeit schreibt der Hotelier Martin Konzett in seiner Hotel-Chronik: «Es waren für das Lokal die goldenen Jahre und «The Marabus» das Highlight schlechthin. Sie spielten Unterhaltungsmusik jeder Couleurs. In gediegenem Stil gehörten Hitparaden-Songs, Stimmungsmusik aber auch die Volksmusik zu ihrem breiten Repertoire. Ernst spielte das Akkordeon wie kein Zweiter und Heidi begleitete ihn am Schlagzeug und als Sängerin. Sie wussten was die Gäste schätzten und wurden vom Publikum geliebt; man kannte sich! Ernst schrieb auch Lieder wie «d’Schwiiz isch en Schatz», den «Challi-Song» oder «’s isch Grindelwald». Das Duo «The Marabus» wurde zur Institution in Grindelwald, nicht nur wegen des abwechslungsreichen Repertoires sondern auch wegen Heidi Kälin, die Schlagzeug studierte und nebenbei auch Saxofon spielte. Eine Frau am Schlagzeug war zu dieser Zeit eine Sensation».
Eine Besonderheit waren einige Nummern mit Playback, aber zur damaligen Zeit mit dem Revox-Tonband (es gab noch keine CDs oder mp3 Player). Die Playbacks hatte das Duo in Eigenregie aufgenommen, dazu spielten sie dann mit zwei Saxofons oder Ernst Posaune und Heidi Tenor-Sax. Eine spezielle Nummer hatten sie einstudiert, nämlich die «Swiss Lady» (damals der grosse Hit von Pepe Lienhard). Ernst spielte das Alphorn, mit der rechten Hand Akkordeon und mit dem Fuss den Bass, dazu Heidi am Schlagzeug und Gesang.
Das Duo gastierte auch jahrelang im Hallenstadion Zürich und zwar im Restaurant «Walliserstube», dies jeweils während der Züspa und dem legendären 6-Tage-Rennen.
Im Jahr 1972 nahmen sie an der 1. Schweizer Schlager-Chance vom Schweizer Fernsehen teil und belegten den 3. Platz bei den Interpreten sowie den 2. Platz für die Komposition «Mir gönd emol uf’s Land».
Die Musikschule
Ernst Kälins musikalische Vielseitigkeit kam auch seinen Schüler*innen zugute. Nachdem das Paar die Monats-Engagements beendet hatte, gründeten die beiden ihre private Musikschule, die sie bis zur Pensionierung sehr erfolgreich führten (Musikschule Ernst und Heidi Kälin).
1986 bildete sich Heidi Kälin am Konservatorium in Winterthur zur Akkordeon-Lehrerin aus. Während dieser Zeit vervollständigte sie ihr Akkordeonspiel bei Gérard Fahr. Im März 1989 erreichte sie, auf Grund ihrer ausgewiesenen Fähigkeit, das Diplom als gelernte Akkordeon-Lehrerin.
Der Unterricht fand in der Wohnung statt, wo die beiden heute noch zu Hause sind. Sie mieteten zudem einen separaten Raum vor allem für Schlagzeug-Unterricht und diverse Orchesterproben. «In der intensivsten Zeit hatten wir über 100 Schüler*innen», erinnert sich Heidi Kälin. Ernst Kälins musikalisches Konzept war so einfach wie erfolgreich: «Ich habe nur Einzel-Unterricht erteilt, um mich ganz auf die Schüler*innen einlassen zu können. Sie bestimmten das Lerntempo und konnten auch die Musik spielen, die ihnen gefiel. Mir war wichtig zu fördern und nicht einfach zu fordern. Ich motivierte sie an Wettbewerben teilzunehmen oder in kleinerem Rahmen aufzutreten. Wenn ich merkte, dass eine Schüler*in so richtig gut war, habe ich sie ermutigt, auf ihrem Weg weiter zu gehen und bei anderen Institutionen fortzufahren».
Es erstaunt nicht, dass einige von Ernst Kälins Zöglingen erfolgreiche Berufsmusiker*innen wurden. So zum Beispiel die vielfach ausgezeichnete Akkordeonistin Viviane Chassot, Trägerin des Schweizer Musikpreises 2021, Petra Föllmi (Dozentin, Solo-Akkordeonistin), Urs Meier (Volksmusiker und Mitspieler bei «Oesch’s die Dritten», Patricia Ulrich (Korrepetitorin, Solo-Pianistin 21st Century Orchestra), Michael Wüest (Akkordeon-Lehrer).
Nach einem besonderen Moment in der Karriere gefragt, muss Ernst Kälin nicht lange überlegen: «1990 konnte ich als Akkordeonist mit dem Sinfonie-Orchester Zürich im Grossen Konzertsaal der Tonhalle auftreten. Wir spielten die „Kleine Dreigroschenmusik für Blasorchester“ unter der Leitung von Hiroshi Wakasugi.
Das war ein absoluter Höhepunkt in meiner Karriere». «Und du spieltest sogar den Akkordeon-Solo-Part im „Bilbao-Song“ von Kurt Weil», ergänzt Heidi Kälin.
Legendär und in bester Erinnerung sind auch die jährlichen Schülerkonzerte im stets bis auf den letzten Platz gefüllten Neuhaus-Saal, Wollerau, wo die Schüler*innen ihre musikalischen Fortschritte auf der grossen Bühne zum Besten geben konnten.
1981 gründete Ernst Kälin mit seiner Frau zusammen das Akkordeon-Orchester Wollerau. Bis 1992 leitete und dirigierte er die Aktiven I (Senioren) sowie die Aktiven II (Junioren).
1991, zum 10-Jahr-Jubiläum des AOW, erhielt Ernst Kälin den goldenen Dirigentenstab und wurde zum Ehrendirigenten ausgezeichnet.
Das Orchester besteht heute noch als Verein in der Gemeinde Wollerau.
Ernst Kälin war auch viele Jahre Mitglied im Schweizerischen Akkordeon-Lehrer-Orchester unter der Leitung von Heinz Waldvogel (SALO). Das Orchester hatte viele Auftritte in Kirchen, an grossen Veranstaltungen und auch im Schweizer Fernsehen.
Aus dem Kulturfonds der «Alten Garde Wollerau» wurde der Musikschule
Ernst und Heidi Kälin für ihre Leistungen im kulturellen Bereich in der Gemeinde Wollerau der Anerkennungspreis 1998 überreicht.
Ernst Kälin, Wollerau, im Juni 2022